Skitour Jotunheimen
Neun Tage lang durchwanderten wir in den Wintersemesterferien 2006 mit Tourenskiern das höchste Gebirge Skandinaviens. Von kalten Nächten und traumhaften Abfahrten...
Obwohl schon sehr lange fest stand, dass es diese Tour geben würde, blieben ihr Ziel und ihre “Mannschaft” lange im Ungewissen. Sarek Nationalpark in Lappland? Zu kalt Ende Februar! Alpen, z.B. Silvretta? Hatten wir schon. Wandern in Deutschland? Langweilig! Zuhause bleiben und an Uni-Seminaren teilnehmen, Füße kurieren und dergleichen? Unmöglich!
So bestellten wir auf den letzten Drücker - wie so vieles auf dieser Tour - Wanderkarten vom Jotunheimen. Der Name bedeutet wörtlich übersetzt “Heim der Riesen” und wird dem 250 Gipfel über 1900 Meter umfassenden Gebirge durchaus gerecht. Wir, das sind Hörbe, Friedjoff und ich, packten das Auto, besorgten noch schnell ein Fährticket und fuhren los - und bemerkten was wir alles vergessen hatten. Doch zum Glück lag Hamburg mit einem Globetrotter auf dem Weg und so erreichten wir auf den letzten Drücker aber pünktlich die Fähre und schließlich auch Beitostølen, ein Wintersportort südlich des Jotuheim. Weil die Straße ab hier im Winter gesperrt ist und wir nicht weiter mit dem Auto in das Gebirge “vordringen” konnten, verlegten wir das Tourengebiet kurzer Hand etwas in den südlichen Rand des Nationalparks, informierten die Touristeninformation über unsere Tour, ließen uns über Lawinenverhältnisse informieren und trafen die letzten Vorbereitungen.
Am Sonntagnachmittag, 26. Februar konnten wir dann endlich die befellten Skier anschnallen und in Richtung der von Wolken umhangenen Berge aufbrechen. Obwohl wir ja eigentlich wussten, was uns erwartete - nasskalte aufgescheuerte Füße, taube Hände, anstrengende Aufstiege und eintöniges, mancher würde sagen widerliches Essen (Kneckebrot, Pemikan, also Schmant mit getrockneten Früchten, und abends warme Masse, die nach Tütensuppe schmeckt) freuten wir uns auf diesen neuen, einfachen und anstrengenden Alltag: Morgens in die gefrorenen Stiefel kämpfen, mit dem Benzinkocher Schneeschmelzen, das Zelt auf- und wieder abbauen, den Rucksack packen und stundenlang durch die weißgraue Landschaft stapfen. Die Aussichten waren zunächst eher schlecht: der Schnee war dünn, hart und eisig, der Himmel ständig bewölkt und Hörbes Füße hatten schon bald einen erbitterten Kampf mit Tape, Socken und Polstern gegen die Form seiner Skischuhe zu führen (da Beide nicht aufgaben endete er schließlich unentschieden, würde ich sagen). Doch zahlreiche Momente belohnten uns für diese Anstrengungen: Abends die verdiente Schokolade in den warmen Schlafsäcken essen, nach einem langen Anstieg in einen von Aldis göttlichen “Schinkenpfefferlinge” beißen, traumhafte Abfahrten hinunter gleiten, die Berge im diffusen Licht der untergehenden Sonne bestaunen und Ausblicke über das verschneite südliche Norwegen, als schließlich die Wolken aufrissen, genießen.
So wanderten wir zwei Tage an dem See Bygdin entlang, eine Zeltplane diente dabei zeitweise als Kyte, bestiegen an einem Tag den Kalveholotinden (2019m), wanderten dann weiter in das Tal Leirungsdalen. Dort errichteten wir für drei Nächte ein Basislager, von dem aus wir die nördlich gelegenen Berge bestiegen. Pünktlich in der ersten Nacht bekamen wir unerwartet etwa 30cm hauchfeinen Neuschnee, der sich auf die verharschte Schicht legte und in dem wir die Hänge hinunter fahren, oder besser gesagt, schwimmen konnten. Am zweiten Tag rissen die Wolken dann auf, wodurch sich die Berge in ihrer ganzen Schönheit zeigten, aber auch die Temperaturen deutlich sanken. Nachmittags errichteten wir neben unserem Zelt ein mannshohes Iglu, das zunächst nur zum Kochen und Essen diente. Am dritten Tag bestiegen wir den Ostgipfel des Tjønnholstinden, mit 2331m einer der höchsten Berge des Jotunheim, von dessen schmalem Grad aus wir einen großen Teil des Nationalparks im Norden und die von uns bereits bestiegenen Gipfel im Süden überblicken konnten.
Glücklicherweise hatten wir beschlossen das Iglu im Fußraum zu erweitern und dort zu schlafen, denn als Friedjoff und Hörbe abends das Zelt abgebaut hatten und durch den Tunnel ins Iglu gekrochen kamen, wo ich schon die Isomatten ausgelegt hatte, zeigten sie mir mit stolzem Gesicht das Thermometer: -28 Grad. Die Eiszapfen an Haaren, Nase und Bart verdeutlichten dies. Die Isolationsfähigkeit des Schnees “erwärmten” die Luft innerhalb des Iglus dagegen auf angenehme -3 Grad!
Mit einem Gewaltmarsch von über zwanzig Kilometern verließen wir das Leirungsdalen nach Osten und kehrten über eine scheinbar ewig andauernde Ebene zurück an den See Bygdin. Hörbe kehrte von dort am neunten Tag direkt nach Beitostølen zurück, um seine Füße zu schonen, während Friedjoff und ich noch den Gipfel des Bitihorn (1607m) bestiegen und mit einer genialen letzten Abfahrt belohnt wurden. Von Beitostølen fuhren wir über Hønefoss, wo wir ein paar Stunden in einem Hotelschwimmbad und einer Sauna verbrachten, um aufzutauen, weiter nach Rijukan. Hier schlossen wir den Norwegenurlaub mit vier Tagen Eisklettern ab.